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#armeleuteessen, biorama, Ist bio leistbar?, Mindestsicherung
Biorama hat den Monat März ins Zeichen von #Armeleuteessen gesetzt.
Geht es, sich bio und nachhaltig zu ernähren, wenn man nicht zu den verdienenden Menschen in unserer Gesellschaft gehört?
Dieser Frage hätte man im Zuge eines einmonatigen Selbstversuchs nachgehen sollen. Ich habe mich dazu entschieden, das von der anderen Seite aus anzugehen, lest einfach weiter,…
Zum Glück muss ich mir über solche wichtigen Dinge, ob ich bio oder nicht kaufe, keine Gedanken machen, wir sind in der glücklichen Lage uns aussuchen zu können ob ich Bio Karotten oder herkömmliche, Bio Fleisch oder solches aus Qualzucht kaufe.
Ich muss mir nicht überlegen ob ich ein kaputtes Gerät austauschen kann, ob es vielleicht gar zu reparieren geht oder ob wir ohne dieses Teil auskommen müssen.
Nein wir sind nicht reich, aber wir können mit unseren Einkommen gut auskommen.
Nicht allen Menschen in Österreich geht es so gut. Viele sind seit längerem arbeitslos, und viele Menschen bekommen nach dem Arbeitslosengeld Mindestsicherung.
Wenn man die Beträge liest, denkt man ja erstmal,..hui, das ist ja gar nicht so wenig:
Zitat und Quelle: Biorama
Die österreichische Mindestsicherung funktioniert anders als Hartz IV bzw. das Arbeitslosengeld II in Deutschland. Sie setzt sich für Erwachsene zusammen aus 628,32 € Grundbetrag und 209,44 € Wohnkostenanteil pro Monat. Laut Armutskonferenz bleiben nach Abzug der üblichen Fixkosten für Lebensmittel und Dinge des alltäglichen Bedarfs rund 180 Euro monatlich. Daraus ergibt sich ein Tagesbudget von rund sechs Euro.Für D, Zitat und Quelle- Biorama:
Seit Anfang 2016 liegt der Hartz IV Regelsatz für Alleinstehende bzw. Alleinerziehende Erwachsene in Deutschland bei 404 Euro (364 Euro für volljährige Partner in einer Bedarfsgemeinschaft). 143,42 Euro davon sind für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke vorgesehen. Das macht bei 30 Tagen im Monat 4,78 Euro am Tag (Quelle: hartziv.org).
Aber bevor ich hier weiter graue und nicht erwiesene Theorie wiedergebe, lasse ich hier jemanden zu Wort kommen, die aus eigener Erfahrung spricht, ein Jahr mit Mindestsicherung gelebt hat, ich denke Petra legt deutlich dar, dass Bio für Mindestsicherungsbezieher nicht möglich ist, nicht dauerhaft und selbst nicht beim besten Willen.
Petra bezieht die österreichische Mindestsicherung seit ca. einem Jahr und wohnt in Wien.
Ich habe Petra einige Fragen gestellt, die sie mir beantwortet hat.
Was denkst du, wenn du von solchen Aktionen wie die von Biorama – #armeleuteessen – liest?
Was mir an dieser Aktion wirklich gut gefällt ist, dass engagierte Politiker wie Joachim Kovacs (link zum Blog von mir hinzugefügt, Anm. giftigeblonde) von den Wiener Grünen dabei mitgemacht und über ihre Erfahrungen gebloggt haben. Noch schöner wäre es gewesen, hätte Herr Kovacs darüber hinaus seine Polit-Parolen in den Wind geschrieben und sich allein der Sache gewidmet. Trotzdem erregt sein Beitrag (hoffentlich) Aufmerksamkeit. Wenn schon nicht bei den verantwortlichen (Mit)Politikern, wenigstens bei Menschen, die nicht von der Mindestsicherung leben müssen. Also bei all jenen Menschen, die noch nie in soziale Schieflage geraten sind und daher nicht wissen wie es Menschen geht, die – aus welchen Gründen auch immer – ins soziale Off gerutscht sind. Darüber sprechen, bloggen, sich auf dieses Experiment einlassen hat schon etwas Gutes und sensibilisiert die Mitmenschen für die Thematik.
Allerdings kann sich ein Mindestsicherungsbezieher auch schon mal leise gefrotzelt vorkommen. Einen Monat lang kann man sich auch als Mindestsicherungsbezieher schon mal „biomäßig“ ernähren. Doch sind die Bankreserven aufgebraucht, ist Schluss mit lustig. Dann beginnt das Rechnen: meistens ist nämlich bei Mindestsicherungsempfängern trotz monetärem Profi-Jonglieren Mitte des Monats gnadenlos Ebbe im Börserl. Was also machst du die restlichen zwei Wochen? Was isst du? Wo kriegst du deine Lebensmittel her?
Muss sich also ein alleinstehender bedarfsorientierter Mindestsicherungsempfänger aktuell mit 837 Euro in Wien duchgfretten, geht es gar nicht anders, er muss jeden Cent zig-mal umdrehen um mit einem blauen Auge über die Runden zu kommen. Miete, Strom, Gas, Internet, Fernsehen, Telefon/Handy, Öffi-Monats-/Jahreskarte fressen nämlich in Wien in Summe durchschnittlich schon rund 600-800 Euro (je nach Mietvertrag).
Fürs (normale, nicht Bio-)Essen einkaufen bleibt nach Adam Riese kaum was übrig. Geschweige denn für Dramen wie eine kaputte Waschmaschine, ein Herd, der nimmer funktioniert, etc. … (Ich lebe seit einem Jahr ohne Herd, weil ich mir einen neuen einfach nicht leisten kann.)
Ein permanentes Einkaufen in teuren Bioläden ist daher ein Ding der Unmöglichkeit. Man geht zuerst zum Hofer. Dann in die SoMas (Sozial Markt, Anm. Giftigeblonde) – hallo, Qualität?! Oder, wenn man die Möglichkeit hat, sucht man Bauern am Land auf und kauft ab Hof – was im Sinne des Bio- und regionalen Nachhaltigkeitsgedankens so und so die beste Lösung ist. Doch wer kann sich mit einer Mindestsicherung noch ein Auto leisten? Das fliegt meistens als erstes aus dem Budgetplan. Und wie kommt man dann zum Bauern aufs Land? Züge, Busse erreichen die „billigen“ Bauern auch nicht so ohne weiteres … und diese extra genutzten Öffis kosten wieder extra.
Wie gesagt, einen kleinen Einblick kriegt man bei dieser Aktion schon. Die Realität kriegt man nicht mit. Denn eines darf man bei dem ganzen Vergnügen nicht vergessen: auch emotional und körperlich – aber vor allem sozial verändert sich das Leben eines Mindestsicherungsbeziehers enorm. Man verarmt nicht nur monetär gesehen, vor allem verarmt das soziale Umfeld. Freunde versuchen zwar zu verstehen, können aber nicht wirklich nachempfinden wie empfindlich die soziale Lage/Stellung ins Leben eines Menschen einwirkt. Es kommen Missverständnisse auf, man redet immer häufiger aneinander vorbei, die Treffen werden unerquicklich, die Freunde bleiben aus …
Das Problem „Mindestsicherung“ ist ein so vielschichtiges, dass man es nicht einfach mal so einen Monat lang ausprobieren und in seiner knallharten Bandbreite erfahren kann. Deswegen könnte sich der eine und andere Mindestsicherungsempfänger durch das Projekt #armeleuteessen leicht gefrotzelt vorkommen. Ein bisschen von „oben herab“ behandelt fühlen. Die Situation ist derart gestaltet, als würde ein Dauer-Club-Med-Gast einen abenteuerlichen Ausflug in die Slums machen und am Abend, wenn er wieder in seinem Club hockt, von seiner „coolen“ Erfahrung berichten.
Ist es möglich, als Mindestbezieher seine Lebensmittel in Bio Qualität zu kaufen oder gar die Auswahl zu haben was man essen möchte?
Ein klares NEIN. Das ist beim besten Willen nicht möglich. Du nimmst was deine Buchhaltung dir gestattet.
Wenn ja, wie kaufst du ein? Wenn nein, was kaufst du?
Ich kaufe beim Hofer, fahre aber auch immer wieder mit meiner motorisierten Frau Mama aufs Land um mich beim Bauern direkt mit Nahrungsmittel einzudecken. Letzteres werde ich sicherlich beibehalten!
Wie siehts mit nachhaltigen Einkäufen im Haushalt an sich aus, also Putzmittel zb?
Was billig genug ist, kommt ins Einkaufswagerl. Mit 837 Euro im Monat kannst du dir keine teuren Bio-Putzmittel leisten. Die Umwelt rette ich wieder wenn ich einen adäquat bezahlten Job habe … 😉
Wie hoch genau ist diese monatliche Mindestsicherung, und was sind deine Fixkosten? Wenn Du magst, was sind deine Fixkosten?
Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung besteht aus 2 Teilen: 628,32 Euro Grundbetrag und 209,44 Euro Wohnkostenanteil pro Monat. Zusammen sind das 837,76 Euro. So steht’s auf der HP der AK. (Bei mir ist’s ein bisschen anders gewichtet, weil ich an 31 Tagen im Monat 777 Euro Grundbetrag habe.)
Meine Fixkosten (Miete, Strom, Gas, Handy, Internet, Fernsehen, Wiener Linien, SVA-Gebühren, Gewerkschaftsbeiträge, Wohnungsversicherung, Homepage-Gebühren) belaufen sich auf rund 680-720 Euro im Monat, exklusive Nahrungsmittel – ganz zu schweigen von Extras wie meine kranke Katze versorgen, Leute treffen, Urlaub, Kino, etc.
Wenn du krank bist, musst du die Medikamente selbst bezahlen?
Dank der mindestsicherungsgekoppelten Rezeptgebührenbefreiung muss ich meine Medikamente nicht selbst bezahlen. Aber die Tierarztbesuche und Medikamente für meine Katze (Epilepsie, Arthrose, Eosinophiles Granulum) muss ich selbst breappen. Bzw. manchmal springt hier auch meine liebe Frau Mama ein. An dieser Stelle ein ganz großes Dankeschön an meine Frau Mama!
Es wird ein Gerät kaputt, was kannst du machen?
…auf bessere Zeiten hoffen? Oder drauf hoffen, dass ein technikaffiner Freund sich die Zeit nimmt mir das Ding zu richten.
Was möchtest du jemandem sagen, der versucht einen Monat lang wie ein Mindestsicherungsbezieher lebensmitteltechnisch, möglichst bio, zu leben?
Netter Versuch, lieber Nicht-Mindestsicherungsbezieher. Nur hast du mit deinem Experiment nur mal die Oberfläche der Problematik angekratzt. Bio essen ist schön und gut, aber teuer – und das muss man sich erst mal länger als nur einen Monat lang leisten können! Ihr vergesst nämlich bei der ganzen Chose die lästigen „Rundumgeräusche“ wie Reparaturen, soziale Vereinsamung, Minderwertigkeitsgefühle, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Existenzängste, Zukunftsängste, Angst vor der drohenden Altersarmut, Verzweiflung und und und … Und ja, man kann tatsächlich Dank all dieser Ängste im Burn-Out-Nirvana landen.
Trotzdem ein ganz großes Danke fürs Aufmerksammachen der Mitmenschen.
Danke fürs Antworten!
Immer gern!
So ist also die Sicht einer Betroffenen. Wenn ich mir dann überlege dass gewisse Politiker hier in A überlegen die Mindestsicherung zu kürzen, wird mir ganz anders. Dann geht’s ums nackerte Überleben,..ich hoffe diese Idee findet keine Zustimmung.
Zum Schluss die gute Nachricht, für Petra ist die Zeit der Mindestsicherung vorbei. Sie hat endlich einen tollen Job gefunden, und ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr mich das freut!
Alles Gute, liebe Petra für die Zukunft!
Die Susi Turbohausfrau hat sich ebenfalls Gedanken gemacht, völlig nachvollziehbar dass sie aufs selbe Ergebnis kommt. Arm aber bio – geht das?